In der ganzen Nachhaltigkeitsdebatte kommt immer wieder eine Frage auf, die mir eigentlich gelöst schien: ob man denn als Individuum überhaupt irgendetwas erreichen könnte. Die eine Seite ist dabei fest davon überzeugt, dass der Einzelne ein machtloser Statist im großen Theaterstück der Politik ist, und nur Letztere etwas verändern kann. Das ist natürlich Quatsch. Die andere Seite kommt mit fanatischer Flugscham und paranoider Plastikpanik. Das ist ebenso Blödsinn. Die Wahrheit liegt, wie so oft im Leben, dazwischen. Und in diesem Text. Let’s go.
These 1: Natürlich kann jede*r Einzelne etwas verändern. Was ich esse, welche Produkte ich kaufe, wie und wohin ich in den Urlaub fahre – das sind alles Entscheidungen, die ich selbst treffe. Wenn eine gewisse Auswahl besteht – im Supermarkt, beim Shopping, auf der Landkarte – kann ich dafür sorgen, dass mein ökologischer und sozialer Fußabdruck so klein wie möglich bleibt. Es wäre falsch zu behaupten, dass es keinen Unterschied macht, morgens mit dem Fahrrad statt dem Auto zur Arbeit zu fahren. Weniger CO2 = weniger Klimawandel. Wer sich um soziale Belange in der eigenen Nachbarschaft kümmert, mit Menschen über Nachhaltigkeit spricht und bei NGOs aktiv ist, bewirkt auch etwas, wenn auch im Kleinen. Wenn wir die Rolle des Individuums in der notwendigen Transformation unserer Welt ernst nehmen wollen, müssen wir auch anerkennen, dass manche Entscheidungen in seiner oder ihrer Hand liegen. Ob das dann Verzicht ist, ein Plus an Lebensqualität oder schlicht eine Veränderung steht auf einem anderen Blatt. Aber in manchen Lebensbereichen ist man eben ganz und gar nicht machtlos und sollte diese Macht auch nutzen.
Zugegeben – dafür müssen ein paar Voraussetzungen erfüllt sein: 1. Ich habe diese Möglichkeiten überhaupt. 2. Ich kann und will es mir finanziell und zeitlich leisten, mich dafür zu entscheiden. 3. Ich kenne die Auswirkungen meiner Entscheidung. Das sollte man nicht vergessen, aber gehen wir zugunsten der Argumentation einfach mal davon aus, dass diese Bedingungen zutreffen. Das ist ja für Viele von uns zumindest für manche Lebensbereiche durchaus der Fall. Also, weiter im Text.

Ich sehe erstmal zwei Gründe, wieso man seine Macht nutzen sollte. Erstens gebietet die Vernunft und der Anstand, nicht wie ein Elefant durch den Porzellanladen zu trampeln, der sich unsere Welt nennt. Wenn ich doch weiß, dass mein 3€-TShirt oder mein 1,99€-Hack vermutlich nicht so toll hergestellt wurden, und mich trotzdem bewusst dafür entscheide, obwohl ich anders könnte, ist das … merkwürdig. Klar, der Mensch ist nun mal nicht rational, aber mit der Begründung lässt sich auch nicht alles wegdiskutieren. Ein zweiter Grund trifft vor allem dann zu, wenn man grundsätzlich für Nachhaltigkeit ist – und das sind doch erstmal fast alle. Man sieht an den “Argumenten” der Gegenseite oft, dass Unzulänglichkeiten der Befürworter nachhaltiger Entwicklung ein gefundenes Fressen sind. Man hat schon mal einen Langstreckenflug gemacht und deshalb sind alle Argumente für Klimaschutz hinfällig. Das ist natürlich eine wunderbar einfache Logik, auf die man eigentlich nichts geben sollte – Klimaschutz bleibt auch dann unverzichtbar, wenn man selbst zum Klimawandel beiträgt. Aber diese Kritik steht nun mal im Raum und macht den Diskurs mit Kritikern nicht einfacher. Wenn man Wasser predigt (selbst echt leckeres, zukunftsfähiges Wasser), dann sollte man seinen Konsum an destruktivem Wein ein bisschen kürzen. Nicht, weil die Wasserpredigt dann erst richtig ist – sondern damit die Menschen überhaupt zuhören. Sonst redet man sich den Mund trocken. Und dann braucht man ja wieder was zu trinken…
Wie dem auch sei, jetzt kommt das große ABER, auf das man zurecht gewartet hat – These 2: Das Verhalten des Einzelnen ist dann tatsächlich irrelevant, wenn es beim Einzelnen bleibt. Ob ich jetzt Bio kaufe oder nicht – wenn es Millionen Deutsche und Milliarden Weltbürger nicht tun, ist das nett, aber mehr auch nicht. Das ist anders, wenn es mehr Menschen tun – wenn daraus erst ein Trend, dann eine Bewegung und dann die neue Norm wird. Wenn 80 Millionen Deutsche nur noch Bio-Lebensmittel einkaufen, ist das besser als vorher. Und wenn es dann die ganze Welt tut – (soweit möglich, schon klar) – fantastisch. Es passiert aber nicht. Die Zahlen sprechen gegen uns. Der Fleischkonsum in Deutschland ist seit Jahren quasi gleich geblieben, auch wenn es mehr und mehr Vegetarier und Veganer gibt. Die CO2-Emissionen stagnieren auch seit Jahren, die Zahl an Flugreisen steigt sogar. Während nachhaltiges Leben in den Medien und in kleinen sozialen Blasen – wie meiner zum Beispiel – ein riesiges Thema ist, spielt es für den Großteil der Deutschen keine Rolle. Letztlich ist es egal, ob sie nicht können, nicht wollen, es sie nicht interessiert oder sonst wieso. Im SZ Podcast “Klimakrise: Was wir besser machen können” (siehe unten) formuliert die Physikerin Marlene Weiß es so: “Die Geschichte der Menschheit hat noch nie einen kollektiven Vernunftanfall hervorgebracht” (ab 24:45). Sie argumentiert, dass man durchaus was tun sollte und muss – aber man sollte sich nicht einreden, dass man die Welt verändert. Aus demselben Grund muss man sich auch nicht kasteien, nur noch von Kohl ernähren und im Winter nicht heizen, um das Klima zu schützen. Es ist vergeudete Mühe, wenn es bei Tausenden statt Millionen Menschen bleibt.
Also doch die Politik? Brauchen wir die starke Hand der Regierung, die uns Dinge verbietet? Beliebte Beispiele sind immer die Gurtpflicht im Auto und das Verbot von FCKW. Wenn die Politik da jeweils nicht einfach gesagt hätte, dass es zukünftig so und so sein muss, würden wir immer noch gegen alle Vernunft ohne Gurt durch die Gegend fahren und das Ozonloch befeuern. Verbote, Regulierungen und Steuern haben natürlich Nachteile, sie sind unbequem oder sogar unfair, aber – These 3 – vielleicht sind sie notwendig. Das Klimapaket ist ein Anfang, aber halt zu wenig. Wenn wirklich strenge Regeln kommen, passt sich die Wirtschaft an, neue Praktiken werden zum Standard, dem Verbraucher wird es einfacher gemacht, sich richtig zu verhalten, und wo das nicht klappt, wird ihm das falsche Verhalten dann mit Verboten aberzogen. Es hilft ja nichts.

Soweit die Argumentation, und da ist schon was dran. Wenn man sich seinen ökologischen Fußabdruck anschaut, merkt man schnell, dass ein großer Teil dessen vom “Sockelbetrag” stammt, für den man quasi nichts kann. Wie öffentliche Gebäude beheizt werden, wie viele Windkraftanlagen gebaut werden und wie die Düngemittelverordnungen sind, das liegt nun mal nicht in der Hand der Verbraucher. Und wie ich oben geschrieben hatte – wenn man keine Möglichkeiten hat, sich richtig zu verhalten, oder man diese nicht bezahlen kann, ist man kein schlechter Mensch, wenn man es nicht tut. Nachhaltige Lifestyles bleiben für viele Menschen ein Luxus, den sie sich vielleicht leisten wollen, aber nicht können. Hier muss der Staat unterstützen, um die Rahmenbedingungen anzupassen.
So, und jetzt kommt der Clou. Politiker*innen und Unternehmen könnten natürlich von allein darauf kommen, die Dinge zu verändern, und Maßnahmen angehen, die nachhaltiger sind. Allerdings sind auch die motiviertesten Entscheider Teil des Systems und können nicht immer so, wie sie wollen. Um langfristig etwas verändern zu können, muss man schließlich auch langfristig die Position dafür innehaben. Wenn aber ein Unternehmen bankrott geht, weil es Nachhaltigkeit vor Profitabilität gestellt hat, oder eine Politikerin abgewählt wird, weil die Wählerschaft nichts auf Umweltbelange gibt, können sie nichts bewirken. Da ist es verständlich, dass sie vielleicht zaghaft agieren. Und Andere wollen vielleicht auch gar nicht. Manchen ist sicherlich der schnelle Gewinn oder der Machterhalt wichtiger. Das kann man doof finden, aber das ändert auch nichts. Politik und Wirtschaft brauchen daher – und dieser Ansatz ist für mich die Hochzeit beider Argumentationen – den Rückhalt der Bevölkerung. Wenn ich als Politiker nicht die Signale bekomme, dass Nachhaltigkeit wichtig ist, setze ich mich nicht dafür ein. Und wenn ich als Unternehmen mit miesen Praktiken mehr als gut über die Runden komme, und vom Gesetzgeber nicht in die Schranken gewiesen werde, dann bleibt das auch so. Also, These 4: Bürger*innen haben Macht als Konsumenten und als Wähler. Durch unser Kaufverhalten machen wir direkt einen Unterschied, aber vor allem senden wir Signale für Veränderungen. Und durch unsere politischen Stimmen unterstützen wir diejenigen, die wirklich etwas verändern können. Wer das letztlich ist, muss man selbst entscheiden, es gibt ja ein paar Parteien da draußen. Aber wenn man sich das Klimapaket anschaut, kann man feststellen: Manche von denen sind es nicht.

Nun, wer hätte es gedacht, These 5: Es braucht beides, Politik und Individuum. Wir sollten nicht so tun, als würde die einzelne Kaufentscheidung die Welt verändern und uns auch nicht den dementsprechenden Druck auferlegen. Wir sollten uns aber auch nicht in hilfloser Unmündigkeit suhlen und alle Entscheidung anderen überlassen. Die schaffen es nämlich nicht von allein, ob sie wollen oder nicht. Und man darf Missstände ansprechen, ohne selbst perfekt zu sein. Das geht nämlich nicht. Nachhaltige Entwicklung ist ein gemeinsamer Prozess aller gesellschaftlichen Akteure – Wirtschaft, Politik, Bildung, und eben Zivilgesellschaft. Wer mit dem einen Zeigefinger auf Andere zeigt, nimmt bitte den anderen an die eigene Nase. Dann sind wir schon einen Schritt weiter. Und es sieht lustig aus.
P.S. Den SZ-Podcast, den ich angesprochen habe, findet ihr unter https://www.sueddeutsche.de/wissen/klimawandel-forschung-bundesregierung-1.4642424. Der ist eine knappe, aber wirklich gute Zusammenfassung des wissenschaftlichen Standes, der Bedeutung des Klimapaketes und allgemein der aktuellen Situation zum Thema Klima.