“Der European Green Deal (Europäischer Grüner Deal) ist ein von der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 vorgestelltes Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden.” (1)
Alles gesagt, danke für’s Lesen.
Nein, so einfach ist es natürlich nicht.
Die Europäische Kommission hat am 11.12.2019, zeitgleich zum Ende der 25. Klimakonferenz der UN (COP25), den European Green Deal vorgestellt. In diesem 24-seitigen Dokument hält sie dabei Pläne fest, wie die Europäische Union bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein soll – also netto genau so viele Treibhausgase emittiert wie speichert – um das Maximum von 1,5°C Klimaerwärmung einzuhalten. Als Zwischenschritt sollen bis 2050 55% Reduktion der Emissionen im Vergleich zu 1990 erreicht werden. Zum Vergleich: bisher zielte die EU immer auf 40% Reduktion bis 2030 ab. Diese Erhöhung und eine Festigung der Reduktionsziele sind bitter nötig: die EU-Kommission stellt selber fest, dass man bei allen Reduktionen der letzten Jahrzehnte derzeit nur auf 60% Reduktion bis 2050 zusteuert statt den angepeilten 100%. Wie will die EU dies also erreichen?
Der European Green Deal benennt eine Vielzahl von Bereichen, in denen neue Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen angestoßen werden sollen: die Förderung einer Kreislaufwirtschaft, den Umbau der Industrie zu einer Zero-Emission-Industrie, effizienteres Bauen, neue Formen der Mobilität, eine nachhaltigere Landwirtschaft. Neben diesen Hauptaspekten soll z.B. auch in europäischen Lehrplänen mehr Platz für Klima- und Nachhaltigkeitsthemen eingeräumt werden. Zudem wird die ökologische Integrität von Wasser und Boden thematisiert (2). Neben den vorgestellten neuen Initiativen wird darauf hingewiesen, dass bestehende Mechanismen und Prozesse überarbeitet und verschärft werden sollen – neue Ansätze allein reichten nicht.
Der Green Deal soll bis 2030 mindestens 1 Billion € an Investitionen kosten. Davon sollen knapp 100 Mrd. € für den Strukturwandel in Regionen investiert werden, die hier besonders große Herausforderungen lösen müssen – beispielsweise, weil sie derzeit noch stark von Kohle abhängig sind (9). Das ist eine Menge Geld, aber wie Frau von der Leyen selbst anmerkte – wir sollten diese Zahlen damit gegenrechnen, was es kostet, wenn wir nichts gegen den Klimawandel tun (3). Dann wird der European Green Deal recht günstig.

(Deutschlandfunk / picture alliance / Photoshot / Xinhua / Zheng Huansong)
Der European Green Deal wurde mit gemischtem Feedback aufgenommen. Sven Giegold, Grünen-Abgeordneter im Europaparlament, bezeichnete ihn als ambitionierter als die deutschen Ziele (4). Deutschland hat sich ebenfalls für 2030 55% Emissionsreduktion, bis 2050 Klimaneutralität auf die Fahnen geschrieben. Allerdings haben wir letzten September auch gesehen, wie halbherzig die Maßnahmen dafür angelegt sind – auch wenn in zweiter Instanz nachgebessert wurde. Giegold befürchtet dennoch, dass auch der European Green Deal nicht ausreiche, um die im Paris Agreement festgelegte Obergrenze von 2°C (oder besser 1,5°C) zu erreichen.
Eine große Herausforderungen des European Green Deal ist dessen Freiwilligkeit. Es wird vorausgesetzt, dass alle EU-Staaten mitmachen. Allerdings stellen sich Polen, Ungarn und Tschechien bisher quer (5). Es bleibt abzuwarten, ob sich diese durch die o.g. Hilfsgelder umstimmen lassen. In Ungarn haben wir momentan ja sowieso ganz andere Sorgen – mit Orban als quasi-Diktator könnte es schwierig werden, das Land auf Klimaschutz einzustimmen.
Ein weiterer großer Kritikpunkt ist, dass der European Green Deal bisher vor allem eine Ankündigung zukünftiger Maßnahmen ist. Ein Gros der Formulierungen enthält the European Commission will … (2) – aber werden sie auch? Der für März 2020 angesetzte Vorschlag eines Climate Law wurde tatsächlich vorgelegt und muss jetzt durch die EU-Prozesse (6). Weitere Regelungen sollen im Laufe des Jahres folgen. Dies deckt sich so ein bisschen mit den Entwicklungen der COP 25 in Madrid, die zeitgleich zur Vorstellung des European Green Deal stattfand. Nach 2 Wochen Rekordverhandlungen wurden dort viele Aussagen getätigt, was bald getan werden soll. Allerdings waren dies weiterhin nur freiwillige Maßnahmen. Die Überarbeitung eines verpflichtenden Zeitrahmens für alle Länder und die Festlegung von Grundlagen der Emissionsberechnung wurden auf die COP im Jahr 2020 verschoben (7). Diese wurde nun allerdings aufgrund der Corona-Krise abgesagt.
Zwei weitere Kritikpunkte am European Green Deal können angeführt werden (8). So beinhaltet das Dokument kaum Anerkennung der historischen und internationalen Rolle der Europäischen Union. Die EU übernimmt keine Rechenschaft für historische Emissionen und deren bisherige Auswirkungen auf das Klima. Vielmehr positioniert sich die EU als Musterknabe. Sie möchte mit dem Deal als global leader auftreten, als Vorreiter und erster klimaneutraler Kontinent: [the EU] will develop a stronger ‘green deal diplomacy’ focused on convincing and supporting others to take on their share of promoting more sustainable development (2). Umweltfragen sollen in den Beziehungen mit China, Afrika und Südamerika wichtig sein. Das ist etwas zynisch, wenn man betrachtet, wie viele Emissionen die EU im Vergleich zu anderen Weltregionen in den letzten Jahrzehnten und -hunderten verursacht hat. Etwas mehr Demut hätte dem Dokument gut gestanden.

Hannah Ritchie and Max Roser (2020) – „CO₂ and Greenhouse Gas Emissions“
Amerika21 kritisiert weiterhin den Mangel an grundlegender Hinterfragung der kapitalistischen Wachstumsideologie. Im European Green Deal werden die beabsichtigten Investitionen als opportunity to put Europe firmly on a new path of sustainable and inclusive growth bezeichnet (2). Ob “sustainable growth” überhaupt möglich ist, wird seit Jahren von Ökonomen diskutiert und sollte mindestens hinterfragt werden. Jedes Wachstum stößt irgendwann an seine Grenzen und nicht erst seit gestern gibt es Konzepte alternativer Wirtschaftsmodelle, die im European Green Deal aber keine Nennung finden. Der Chef der CDU/CSU im EU-Parlament, Caspary, begrüßte den Deal mit den Worten „Wir wollen nicht Sachen verbieten, sondern Sachen ermöglichen“ (3). Da klingt die gleiche alte der-Markt-regelt-den-Klimaschutz-Leier durch, die ich schon bei FDP und CDU in Deutschland so gern mag. Aber egal was man davon hält, wichtig ist festzuhalten, dass der European Green Deal vor allem auf marktwirtschaftliche Mechanismen und Anreize setzt und nicht auf Verbote – mit allen Vor- und Nachteilen.
Insofern ist es interessant, dass neben der o.g. Kritik auch viel Kritik aus der Wirtschaft kommt, z.B. vom Bundesverband der Deutschen Industrie (4) oder vom Chef von Bosch (3), weil eine Verschärfung der Klimaziele viel von der Wirtschaft verlange. Wenn man jetzt böse wäre (was ich natürlich niemals wäre), könnte man solche Aussagen als Zeichen dafür sehen, dass der European Green Deal also auf dem richtigen Weg ist. Wir brauchen neue Industrien, Technologien und Ansätze des Wirtschaftens. Das tut natürlich bestehenden Akteuren weh, aber es hilft ja nichts. Insbesondere, wenn schon die Wachstums-Frage nicht angegangen werden soll.
Die Corona-Krise rückt derzeit (zurecht) andere Themen in den Hintergrund, und der Klimaschutz ist eines davon. Die so wichtige COP 26 in Schottland Ende des Jahres wurde jetzt auf 2021 verschoben, obwohl genau diese COP so wichtig gewesen wäre. Es wäre eine Schande, wenn das Momentum, das im letzten Jahr durch Fridays for Future aufgenommen wurde, verloren ginge. Der European Green Deal könnte, wenn er von allen Staaten wirklich umgesetzt wird, ein entscheidender Schritt sein. Es bleibt nur zu hoffen, dass die nächsten (zehn) Jahre wirklich ein Jahrzehnt des Handelns werden. Sonst wird das mit der Klimaneutralität echt eng.
Quellen
(1) Wikipedia. European Green Deal. https://de.wikipedia.org/wiki/European_Green_Deal (zuletzt abgerufen am 01.04.2020)
(2) Europäische Kommission. Green New Deal. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/european-green-deal-communication_en.pdf (zuletzt abgerufen am 01.04.2020)
(3) Merkur. Von der Leyen stellt “Green Deal” vor – Kritik folgt prompt: “Machtpolitische Motivation”. https://www.merkur.de/politik/von-leyen-green-deal-kritik-un-klimagipfel-eu-kommission-zr-13287651.html#idAnchComments (zuletzt abgerufen am 01.04.2020)
(4) ZEIT online. Green Deal: Grüne halten EU-Klimaziele für “meilenweit besser” als deutsche Pläne. https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-12/eu-green-deal-deutsche-industrie-die-gruenen-kritik (zuletzt abgerufen am 01.04.2020)
(5) Deutsche Welle. Zustimmung zum Green Deal – ohne Polen. https://www.dw.com/de/zustimmung-zum-green-deal-ohne-polen/a-51651201 (zuletzt aufgerufen am 02.04.2020)
(6) Europäische Kommission. European Climate Law. https://ec.europa.eu/clima/policies/eu-climate-action/law_en (zuletzt aufgerufen am 01.04.2020)
(7) CarbonBrief. COP25: Key outcomes agreed at the UN climate talks in Madrid. https://www.carbonbrief.org/cop25-key-outcomes-agreed-at-the-un-climate-talks-in-madrid (zuletzt aufgerufen am 01.04.2020)
(8) Amerika21. Weisse Haut, Grüne Masken – eine Kritik am “European Green Deal” https://amerika21.de/analyse/236917/weisse-haut-gruene-masken-green-deal
(9) Europaparlament. Klimaschutz: Europas Eine-Billion-Euro-Plan. https://www.europarl.europa.eu/news/de/headlines/society/20200109STO69927/klimaschutz-europas-eine-billion-euro-plan (zuletzt aufgerufen am 02.04.2020)
2 Kommentare zu „Was ist eigentlich… der European Green Deal?“