Nach dem Erfolgsbeitrag „Bücher Bücher Bücher“ folgt hiermit Teil 2 der Empfehlungstrilogie auf diesem Blog (oder Hexalogie, mal schauen, was mir in die Finger kommt). Dieses Mal geht es um Filme – genauer, um drei frisch veröffentlichte Dokumentar- bzw. Spielfilme, die ich mit der entsprechenden Aktualität hier empfehlen möchte. Ich habe sie alle einem Wochenende gesehen, was ich ausdrücklich empfehlen und nicht empfehlen möchte. Dafür sind sie zu gut und zu bedrückend.
Achso, und zur Sicherheit: #unbezahltewerbung – man weiß ja nie.
Fangen wir an mit
David Attenborough: A Life on Our Planet
David Attenborough, legendärer britischer Naturfilmer und mittlerweile stolze 93 Jahre alt, hat eine neue Dokumentation veröffentlicht, und sie ist fantastisch. Ich möchte behaupten, dass sie wegweisend ist; zumindest im Vergleich zu allen anderen Naturdokumentationen, die ich sonst kenne.
Es gibt Dokus, die etwas vermitteln wollen, zum Beispiel Cowspiracy, Before the Flood oder Tomorrow. Diese Dokus möchten auf Probleme hinweisen und anmahnen, etwas gegen sie zu tun. Das ist meistens wirkungsvoll bei Menschen, die dafür offen sind; und geht komplett an denen vorbei, die – oft zurecht – nicht von den moralischen Inhalten dieser Dokus runtergezogen werden wollen. Und dann gibt es klassische Naturdokus, die die Schönheit unserer Erde aufzeigen, und mittlerweile sagen diese dann ab und zu auch, “ach übrigens, dieses Paradies ist durch Wilderei oder den Klimawandel bedroht. Aber guck mal die süßen Tierchen!” Und dann gibt es “A Life on Our Planet”. Ich bin schwer beeindruckt davon, wie David Attenborough hier eine Geschichte erzählt. Es ist nicht die Geschichte eines einzelnen Problems, und auch nicht die Geschichte eines tierischen Protagonisten, sondern seine Geschichte.

Attenborough skizziert seinen Lebensweg und seine Karriere entlang gesellschaftlicher und natürlicher Veränderungen. Er reflektiert seine Rolle und seine Erfahrungen in diesem Kontext und zeigt gleichzeitig auf, wie sich unsere Beziehung zur Natur in den letzten Jahrzehnten verändert hat, und fasst damit im Grunde 50 Jahre sozial-ökologische Beziehungen in einer halben Stunde zusammen. Er ist sich seiner Netflix-Zielgruppe bewusst und setzt die richtigen, wenigen Schwerpunkte, ohne zu oberflächlich zu sein. Dabei ist er in seiner persönlichen Geschichte nicht zu selbstreferenziell, und gleichzeitig schafft seine Person eine Authentizität, die vergleichbaren Dokus wie “Eine unbequeme Wahrheit” oder “Before the Flood” abgeht. Und nach der Hälfte der Laufzeit wechselt er plötzlich die Erzählweise und schaut in die Zukunft. Dabei macht er Angst, nur um genau im richtigen Moment Hoffnung zu vermitteln – dasselbe schafft er mit Aufnahmen von Naturzerstörung, die er dem Zuschauer nicht auf die Nase drückt, sondern genau dort einsetzt, wo sie Wirkung erzeugen. Er trifft genau die richtigen Noten zu essentiellen Fragen: wollen wir zurück zur Natur oder vorwärts zu etwas Neuem? Müssen wir den Planeten retten oder uns? Und wie schaffen wir es, menschenwürdig das Bevölkerungswachstum einzugrenzen? “A Life on Our Planet” zeigt im Grunde nichts, was man nicht schon gesehen hätte, und erzählt nichts, was man nicht schon wüsste. Aber die Art und Weise, wie alles zusammenkommt und gezielt pointiert wird, ist meisterlich. Und das ist hoffentlich der Weg, wie sich Dokumentarfilmer zukünftig mit diesen Themen auseinandersetzen. Ganz dicke Empfehlung. „A Life on Our Planet“ ist ab sofort auf Netflix zu sehen. Mehr Infos zur Doku findet ihr auf der offiziellen Website.
I am Greta
Es ist allein deshalb schon empfehlenswert, sich “I am Greta” anzuschauen, weil die Existenz dieser Doku einen Glücksfall darstellt. Regisseur Nathan Grossmann war vom ersten Tag an dabei, als Greta Thunberg im August 2018 begann, vor dem schwedischen Parlament in Stockholm fürs Klima zu demonstrieren, und begleitete sie und ihren Vater von da an weiter. Grossmann hat dabei geschafft, was jeder gute Dokumentarfilmer möchte – von seinen Protagonisten quasi ignoriert zu werden: es kommt nie der Eindruck auf, dass sich die gefilmten Personen anders verhalten, weil eine Kamera dabei ist – höchstens noch die Politiker, die so emsig Gretas Hände schütteln. Wir sind als Zuschauer fortan immer dabei, während des aufkommenden Ruhms, den Klimademos, der Segelfahrt nach Amerika, und auch in den ruhigen Momenten, die wir nicht schon aus der medialen Berichterstattung kennen.

Gerade diese sind es dann auch, die der Doku einen Mehrwert verschaffen; zu sehen, wie Greta selbst über ihre Rolle reflektiert, zu realisieren, dass sie ein 15-jähriges Mädchen war, dem plötzlich Weltpolitiker für ein Selfie hinterher liefen; und noch einmal daran erinnert zu werden, dass das alles ganz und gar nicht normal war. Man kann der Doku sicherlich vorwerfen, in die Falle des Personenkults zu tappen, deshalb kann ich gar nicht sagen, ob “I am Greta” wirklich eine gute Dokumentation ist. Aber sie ist sicherlich eine der wichtigsten Dokus der letzten Jahre, weil Greta Thunberg eine der wichtigsten Personen der letzten Jahre ist. Wir werden erst rückblickend feststellen können, welche Bedeutung Fridays for Future wirklich hatte, aber dass sie eine hatte, ist wohl unumstritten. Greta Thunberg kann noch so oft sagen, dass es nicht ihre Bewegung ist, aber sie ist es. Sie ist nur deshalb entstanden, weil Greta so eine beeindruckende Persönlichkeit ist, und dieser Tatsache erweist die Doku allen Respekt. „I am Greta“ läuft seit dem 16.10 im Kino.
Vergiftete Wahrheit
Es hinterlässt immer ein ungutes Gefühl in der Magengegend, wenn man einen Film sieht, der auf wahren Begebenheiten beruht und nicht mit einem Happy End aufhört. Noch unwohler fühlt man sich, wenn die wahre Begebenheit einen selbst betrifft, und noch in der Gegenwart andauert. So ist es auch bei “Vergiftete Wahrheit”, im Original “Dark Waters”, einem Spielfilm von Todd Haynes. Hierbei geht es um den Unternehmensanwalt Rob Bilott, gespielt von Mark Ruffalo, der eines Tages im Jahr 1998 vom Farmer Wilbur Tennant um Hilfe gebeten wird. Tennant ist davon überzeugt, dass die nahe gelegene Mülldeponie seine Tiere tötet und seinen Hof vergiftet, und auch wenn Bilott erst nicht überzeugt ist, schaut er sich die Sache dann doch an. Als in den Unterlagen der Mülldeponie dann der allen völlig unbekannte Stoff PFOA auftaucht, der in der Herstellung von Teflon genutzt wird, wird recht schnell klar, dass tatsächlich etwas im Argen liegt. Der Besitzer der Mülldeponie, der Chemiekonzern DuPont, ist nun allerdings nicht nur ein Chemiegigant (und das sind sie auch heute noch), sondern auch noch die Firma, die Bilott eigentlich in seiner Kanzlei selbst vertritt.
Ich würde ja sagen, mehr will ich gar nicht verraten, aber man kann sich ja denken, worauf es hinausläuft. Es kommt zum Rechtsstreit und der Kampf gegen DuPont wird Bilotts Lebensaufgabe, die bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossen ist. Haynes’ Film ist düster, tragisch und wenn er nicht auf einer realen Recherche und einem realen Rechtsstreit basieren würde, würde man ihn als gut erzähltes, wenn auch nicht aufregend inszeniertes Drama bezeichnen. So bleibt aber das Wissen, dass es das nicht ist; das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber Politik und Industrie; und für mich auch die Motivation, sich weiter mit diesen Dingen zu beschäftigen. Das thematisierte PFOA wird übrigens seit 2013 nicht mehr für die Herstellung von Teflon verwendet und ist seit Juli 2020 verboten. Dieser Weg hat dann fast 60 Jahre gedauert. „Vergiftete Wahrheit“ läuft seit dem 16. Oktober im Kino.
Ein Kommentar zu „Filme Filme Filme“