Ort: Ein Serviceschalter in einem fensterlosen, weißem Raum. An der Ecke steht eine leicht verwelkte Topfpflanze, daneben befinden sich drei weiße Plastikstühle. Sonst ist der Raum quasi leer. An der Theke steht ein Verkäufer (V), blau gekleidet, mit einem Computermonitor neben sich. Durch die Tür kommt ein Mann, augenscheinlich ein Kunde (K), mit einem großen Rucksack auf dem Rücken. Er sieht verärgert aus.
V: (übermäßig freundlich) Guten Tag, was kann ich für Sie tun?
K: (ruhig) Ja guten Tag, ich würde gerne von meinem einjährigen Rückgaberecht Gebrauch machen und das hier zurückgeben. (Er kramt an seinem Rucksack herum und zieht langsam und umständlich ein großes Paket hervor)
V: Oh, das tut mir natürlich Leid, zu hören. Um was geht es denn?
K: Ich habe vor einigen Monaten dieses Produkt bei Ihnen gekauft …. hnnnng ist das schwer … so (Er hievt das Paket auf die Theke). Es geht um das Jahr 2020.
V: Ah, ich dachte es mir schon fast.
K: Wieso?
V: Sie sind nicht der Erste, der das Jahr 2020 in letzter Zeit umtauschen kommt. Wir nehmen hier derzeit täglich Dutzende Rückgaben entgegen.
K: Dann können Sie sich ja vermutlich auch denken, wieso ich es zurückgeben möchte?
V: Ehrlich gesagt nicht so ganz. Sehen Sie, wir verkaufen diese Produktreihe seit Ewigkeiten und haben allein das Jahr 2020 7,6 Milliarden Mal verkauft. Natürlich gibt es immer mal wieder solche Kunden, die nicht zufrieden sind, aber in diesem Ausmaß haben wir das noch nicht erlebt. Ich weiß gar nicht, was dieses Mal soviel schlechter gewesen sein soll.
K: Dann will ich Ihnen das gerne mal schildern. Ich hab mir sogar eine Liste gemacht! (Er holt aus seiner Hosentasche einen zerknüddelten Zettel hervor und streicht ihn auf der Theke gerade).
V: Gern!
K: Also. Was mir von Anfang an aufgefallen ist, ist dieser Rechtsdrall. Ich habe manchmal Sorge, das Produkt ein paar Stunden unbeaufsichtigt zu lassen, weil es sonst wieder nach rechts abdriftet und ich es auf der Straße in Schach halten muss.
V: Ja das stimmt, das ist seit Jahren ein Problem mit dieser Produktreihe. Da müssen Sie am besten einfach selbst links dagegenhalten, das tut mir leid.
K: Hm na gut. Mir wäre es lieber, wenn es einfach mittig auf den Rechtsgrundlagen stehen würde, aber gut. Wo wir gerade von rechts sprechen: Es kann sein, dass ich mir das eingebildet habe – aber ich hatte manchmal den Eindruck, dass auf dem Display so … (er senkt seine Stimme und schaut sich kurz um) rechte Parolen angezeigt wurden. Und dass da eine Reichsflagge eingeblendet wurde und sowas. Kann das sein? (Er räuspert sich)
V: (hebt beschwichtigend die Hände) Das sollte nicht so sein, das tut mir leid! Vielleicht haben Sie versehentlich die Frequenz des Polizeifunks erwischt, oder sich bei Telegram eingewählt?
K: Gar nichts hab ich gemacht! Es stand doch explizit auf der Packung, dass so etwas nicht vorkommen kann, weil das Problem seit Jahrzehnten behoben sei! Da war ich echt schockiert.
V: (leise) Man soll nicht alles glauben, was behauptet wird….
K: Was?
V: Was?
K: Äh, ja, also ich hab dann auch versucht, das Display auszustellen, aber dann hat er mir die ganze Zeit Fehlermeldungen ausgegeben. Ich hab die mal abfotografiert. (Er holt sein Handy hervor und hält es dem Verkäufer unter die Nase).
V: (Der Verkäufer setzt seine Brille auf) Also ich lese da jetzt “All lives matter” – darf ich selbst weiterwischen? (Der Kunde nickt) – Hier steht “Lügenpresse”, und hier “Adrenochrom”… Ja das muss ein Fehler sein, das ergibt ja alles überhaupt keinen Sinn.
K: (nimmt das Handy wieder runter) Ja das dachte ich nämlich auch. Ich hab das Display dann abgeklebt.
V: Pragmatisch. Dann müssen Sie sich nicht damit beschäftigen, wo das herkommt.
K: Genau. Okay, ich mache mal weiter – das Produkt hatte die ganze Zeit so einen Orange-Stich, wie so ein ganz billiger Selbstbräuner-
V: (unterbricht ihn) Also, da kann ich jetzt nichts von erkennen…
K: Ja genau, das hat Anfang November einfach aufgehört! Jetzt ist es einfach weiß.
V: Ja, solche Fehler passieren manchmal, aber es ist ja gut, wenn da jetzt etwas Anderes gewählt wurde.
K: Und wie erklären Sie sich die Tatsache, dass plötzlich die englische Sprachausgabe weg war? Ich mag immer gern die Originalsprache –
V: (leise) Weil Sie so clever sind.
K: Was?
V: Was?
K: Ja, also .. (er wirkt etwas verwirrt) jedenfalls war auf einmal keine englische Sprache mehr anwählbar. Als wäre die einfach entfernt worden. Das ist doch wirtschaftlich gesehen keine gute Entscheidung!
V: Ja das sehe ich auch so, aber da ließ sich nichts machen. Das wurde vor Jahren so entschieden, und das wurde dann auch so durchgezogen.
K: Aber das kann man doch auf die Packung schreiben! Wieso wurde das nirgends vermerkt?
V: So richtig hat wohl niemand damit gerechnet, dass es wirklich passiert.
K: Ich war dann jedenfalls richtig durcheinander! Ich bin dann irgendwie auf der weißrussischen Sprachausgabe gelandet, und es hat mir Zahlen ausgegeben, die überhaupt nicht stimmen konnten. Als ich das dann korrigieren wollte, ist plötzlich die Polizei in meine Wohnung gestürmt und wollte mich einsperren! Ich hab doch gar nichts falsch gemacht! Wie ist so etwas möglich?
V: Das sind die EU-Regularien. Durch die wird es immer so ein behäbiger Prozess, auf solche Probleme zu reagieren. Aber das sollte natürlich nicht passieren.
K: Ne sollte es nicht! (Er hebt merklich die Stimme) Sie merken schon, ich rede mich richtig in Rage hier!
V: Ich kann Sie schon verstehen. Sie sind ja auch nicht der Erste, der diese Punkte anführt.
K: Und was soll eigentlich diese Scheiße mit der Stromquelle. Ernsthaft, eine Gaspipeline? Das ist doch lächerlich! Man sollte meinen, die Technik sei da viel weiter!
V: Die Technik ist da auch viel weiter, aber solange es nicht reguliert wird…
K: Meine Güte, wirklich. (Er atmet tief durch) Ich beruhige mich jetzt erstmal. Hätten Sie vielleicht ein Glas Wasser?
V: (immer noch unheimlich freundlich) Selbstverständlich. Hier, bitte. (er reicht ihm ein Glas Wasser)
K: Danke. (der Kunde schüttet das Glas Wasser über dem Paket aus)
V: Wa-?
K: Ich wollte ihnen nur das nächste Problem demonstrieren. Fassen Sie mal an. (Er greift nach der Hand des Verkäufers, der erst zurück zuckt. Der Kunde schaut ihn eindringlich an, dann lässt es der Verkäufer geschehen. Der Kunde legt die Hand des Verkäufers auf das Paket)
V: (erstaunt) Das ist ja richtig warm!
K: Exakt! Es war von Anfang an so warm, und jetzt ist es noch wärmer geworden! Und es roch zwischenzeitlich auch ganz lange nach Rauch, so als würde innen irgendwas aus Holz verbrennen. Das kann doch nicht gesund sein, da müssen doch irgendwann Probleme auftreten. Trocknet da nicht irgendetwas im Innern aus?
V: Sollte man meinen…. Jetzt verstehe ich auch, was mein Kollege neulich meinte von wegen Erwärmung. Er meinte, dass es dadurch punktuell auch total nass werden könnte. Witzig, oder?
K: (mit ernstem Blick) Geht so.
V: Natürlich, entschuldigen Sie. Das sollte natürlich auch nicht passieren. Mein Kollege sagte, das Problem sei wohl vor Jahrzehnten schon erkannt worden, aber… sie wissen ja, wie das ist.
K: Das jetzt noch zu ändern wird aber teuer, das hätte man damals tun sollen!
V: Ich bin hier nur der Verkäufer. Aber was ist denn noch mit dem Produkt los, Sie haben doch noch einige Punkte auf Ihrer Liste.
K: Ja, eine Sache hätte ich noch, und die war auch das größte Problem. Alles andere hätte ich ja noch verschmerzen können, aber das war dann zu viel. Das Ding macht krank.
V: Krank?
K: Krank. Körperlich, und seelisch. Zuerst einmal bin ich mir ziemlich sicher, vergiftet worden zu sein.
V: Dafür haben Sie keine Beweise. Das waren Sie doch bestimmt selbst!
K: Das ist doch absurd! Also – jedenfalls, ich habe auch die ganze Zeit so Atemprobleme gehabt, und ich schmecke so wenig seit einiger Zeit. Und dazu die psychischen Folgen. Seit ich das Produkt habe, wechseln die Menschen die Straßenseite, wenn ich draußen unterwegs bin. Alle halten immer soviel Abstand zu mir… (traurig) ich möchte doch nur wieder mit meinen Freunden Zeit verbringen können, und mal jemanden in den Arm nehmen. Aber alle meiden mich, seit ich das Produkt habe. Ich sehe kaum noch Menschen, und selbst wenn, dann tragen immer alle eine Maske. Aber ich sehe nicht, wieso! Stinke ich, oder was ist das Problem? Es ist so wenig greifbar, was da passiert, verstehen Sie
V: Ja, ich kann Sie verstehen. Das ging mir auch so. Aber da muss man einfach das Beste draus machen, denke ich.
K: (überrascht) Haben Sie das Produkt etwa auch gekauft?
V: Ja natürlich, ich sagte Ihnen doch, 7,6 Milliarden verkaufte Exemplare. Man kommt ja kaum daran vorbei, jedes Mal das neue Modell zu erwerben.
K: Hm, ja da haben Sie Recht. Aber ich bin wirklich unzufrieden, das möchte ich nochmal betonen. Sie haben ja jetzt hoffentlich verstanden, wieso.
V: (er verweist mit der Hand auf seinen Computermonitor) Ich hab mir das alles notiert, Herr…
K: Sapiens.
V: Herr Sapiens. Aber Sie scheinen auch schon die Vorgängermodelle besessen zu haben, deshalb erlauben Sie mir die Frage: Gab es diese Probleme nicht immer schon? Jetzt sind eben einmal einige davon zusammen aufgetreten, aber meinen Sie wirklich, es wird beim nächsten Modell besser?
K: Was bleibt mir denn Anderes übrig, als das zu hoffen? Ich bin ja jetzt auch hier, um meinen Unmut zu äußern, damit das irgendwann nicht mehr vorkommt. Aber glauben Sie mir, wenn es ein Alternativprodukt gäbe, hätte ich längst gewechselt.
V: (er senkt seine Stimme ein wenig) Warten Sie mal ab. Unter Experten heißt es, dass die ganze Produktreihe bald abgesetzt wird, weil man sich so verrannt hat und die Probleme nicht mehr in den Griff bekommt.
K: Diesen Pessimismus teile ich aus Prinzip nicht. Aber ich bin ja eigentlich nicht hier, um mich über das Nachfolgemodell zu informieren, sondern um dieses Produkt zurückzugeben. Eins nach dem Anderen. Also, kann ich ein neues Exemplar bekommen?
V: Tut mir leid, das ist leider nicht möglich.
K: Wie bitte?!
V: Wir haben eine strikte no-return-policy. Steht hier auch. (Er verweist mit dem Finger auf ein gigantisches Schild über der Theke, auf dem steht “Keine Rückgaben, niemals, nein, nein, nein. (Entropie)”)
K: Aber Sie haben doch gesagt, dass ganz viele Leute kommen, um es umzutauschen?!
V: Denen sage ich dasselbe.
K: Was ist denn mit meinem einjährigen Rückgaberecht?
V: Fake News.
K: (er brüllt) HÄTTEN SIE MIR DAS NICHT AM ANFANG SAGEN KÖNNEN? (er wirft vorwurfsvoll die Hände in die Luft)
V: Bitte nehmen Sie die Hände runter, Herr Sapiens. Ich befolge nur die kosmischen Regeln.
K: ACH KOSMISCHE REGELN, KOMMEN SIE MIR NICHT DAMIT. IRGENDWANN KANN ICH DAS UMTAUSCHEN, ICH SAG ES IHNEN! (er dreht wütend ab und lässt die Tür knallen)
V: (ruft ihm hinterher) VERGESSEN SIE NICHT IHR PAKET!
K: (kommt wütend zurück, nimmt das Paket, dreht wieder ab und geht)
V: (ruft ihm hinterher) Wir stehen das gemeinsam durch! (zu sich selbst) Der kommt wieder. Sie kommen alle wieder. (er nimmt das leere Wasserglas, fährt den Rechner runter und macht das Licht aus) Bis morgen, Chef!
(im Nebenraum geht das Licht an und man sieht eine alte Frau mit langen, weißen Haaren und Lesebrille am Rechner sitzen) Bis morgen!
ENDE.