Vermutlich basiert dieser Text auf meiner persönlichen Social Media-Blase, und außer mir kann niemand das Problem nachvollziehen. Sei’s drum. Ich bekomme jedenfalls seit Monaten in meinem Instagram-Feed Werbeanzeigen von Unternehmen, die versprechen, einen oder mehrere Bäume zu pflanzen, wenn ich doch nur ihre Produkte kaufe. Manchmal sparen sich diese Unternehmen sogar den Umstand, ein Produkt in die Welt zu setzen, und verkaufen direkt Bäume. Die Idee ist natürlich, dem Planeten etwas zurückzugeben – seinen CO2-Fußabdruck zu neutralisieren, der globalen Abholzung entgegenzutreten, und manchmal auch Kleinbauern mit den gepflanzten Bäumen zu unterstützen. Gute Sache, oder?


Bei treedom geht es vor allem um die Unterstützung lokaler Kleinbauern in verschiedenen Ländern. 1,6 Mio Bäume wurden gepflanzt – das geht als Geschenk mit Sinnspruch oder sogar im praktischen Monatsabo. Quelle: Instagram / treedom_trees

In der Reportage „Sollen wir alle Bäume pflanzen?“ schaut sich der YouTube-Kanal STRG_F das mal genauer an. Zunächst stellen auch diese Reporter fest, wie omnipräsent das Pflanzen von Bäumen mittlerweile ist – und zeigen auch, dass die Umsätze der Unternehmen, die die Bepflanzungen vornehmen, in den letzten Jahren explodiert sind. Sie finden unter Anderem eine Firma, die Bäume für 59€ verkauft, selbst aber nur 0,10-0,20€ pro Baum bezahlt – der Rest seien Marketing- und Materialkosten fürs Zertifikat. (Klar. Deshalb ist die Website jetzt auch nach Veröffentlichung der STRG_F Recherche offline.) Im Video wird weiter angemerkt, dass es ungültig ist, als privates Unternehmen in Deutschland Bäume zu pflanzen, und diese dann als offizielle Kompensation zu betiteln, weil jeder in Deutschland gepflanzte Baum bereits im nationalen Emissionsbudget verbucht ist – was ihre Bepflanzung aber nicht per se unsinnig macht. Es wird gezeigt, dass es Unternehmen gibt, die die von ihnen für ihre Produkte genutzten Açaí-Bäume noch zusätzlich als Kompensation verbuchen, weil sie ohne diese Nutzung vorgeblich abgeholzt würden. Und sie gehen dem Bepflanzungsprojekt nach, das die Ecosia-Bäume setzt – zentimetergroße Mangroven-Setzlinge, die Jobs schaffen, aber kaum in der versprochenen Menge überleben. Und zuletzt machen sie klar: manchmal wäre es besser, die Natur selbst arbeiten zu lassen, als großflächig Bäume zu setzen. Insgesamt wird deutlich: viele Firmen, die Bäume pflanzen oder Regenwald schützen lassen, erzielen damit durchaus positive Effekte – aber sie reden es sich oft auch schöner, als es wirklich ist.

Bei one.mate kann man beim Kauf von Rucksäcken Mangroven auf Fidschi pflanzen lassen. Oder für 79€ gleich den CO2-Ausstoß seines ganzen Lebens kompensieren. Knallerdeal. Quelle: Instagram / one.mate

Ähnliches stellt ein Artikel in der ZEIT („Der Märchenwald“, 53/2020) fest. Hier untersuchen die Autoren die Stiftung Plant for the Planet, die sich zum Ziel gesetzt hat, 1 Billion Bäume zu pflanzen. Die Journalist*innen äußern einige Zweifel an der Praxis der Stiftung: die genannten Überlebensraten der Bäume seien unrealistisch, die Kompensationsmöglichkeiten durch die Bäume übertrieben, es gebe noch gar keine Berechtigung für die Bepflanzung der versprochenen Bäume in Mexiko, die wissenschaftliche Begleitung der Unternehmung sei fragwürdig, und die Stiftung stelle sich intransparent dar. Harte Kritik, die wiederum der Gründer der Stiftung (der zum damaligen Zeitpunkt erst neun Jahre alt war) in einem Statement auf der Website deutlich zurückweist: die ZEIT habe viel verzerrt, und viel kritisierte Praxis sei absolut gängig. Als Außenstehender finde ich es sehr schwierig, zu beurteilen, wer im Recht liegt – oder ob die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Für mich klingt es, als sei PftP an ihrer eigenen Idee gescheitert, die vielleicht auch etwas ambitioniert war. Aber wer weiß. In jedem Fall unterstreicht der Artikel – und die Antwort darauf – noch einmal, dass das Pflanzen von Bäumen nicht der no brainer ist, als der es vermarktet wird. Wie die Autor*innen der ZEIT schreiben: „Das Versprechen, mit Bäumen CO2 zu kompensieren, lebt vom Vertrauen“. Und dieses Vertrauen kann Bäume versetzen, aber das muss dann auch jemand machen.

Wenn man all diese Sachen liest, kommt eine Studie immer wieder vor: eine Publikation der ETH Zürich aus dem Jahr 2019, in der die Forschenden erklären, es gebe ausreichend Landflächen, um 2/3 der jemals vom Menschen verursachten CO2-Emissionen durch Aufforstung zu kompensieren. Die Studie machte die Runde, und all die, die mit Aufforstung was zu tun hatten, freuten sich über den Rückenwind. Recht schnell erschienen dann aber einige Rückmeldungen in SCIENCE, wo die Studie ursprünglich publiziert worden war: sie basiere auf einem falschen Verständnis atmosphärischer und ökologischer Prozesse, nehme fälschlicherweise an, dass man einfach überall erfolgreich Wald pflanzen könnte, ignoriere wichtige Forschungsergebnisse und ihre optimistische Schätzung sei eben genau das – mitunter um den Faktor 5 zu optimistisch (die Antworten auf die Studie findet ihr z.B. hier, hier, hier und hier). Vor allem die Aussage, Aufforstung sei „the most effective solution at our disposal to mitigate climate change“ wurde hart kritisiert.

Truewoods pflanzen in Deutschland pro verkauftem Kleidungsstück einen Baum – bisher laut Website 15.000 Stück. Quelle: Instagram / truewoods_clothing

Die ursprünglichen Autor*innen antworteten dann wiederum auf diese Kritik, und schrieben sinngemäß, dass sie falsch verstanden worden seien und dass man je nach Berechnungsart auf unterschiedliche Werte kommen könne: „The differences in approaches and related estimates illustrate the uncertainty that remains and justify the need for more quantitative and data-driven approaches“ – wenn niemand richtige Daten hat, ist unsere Berechnung auch nicht falsch. Aber da war die Kuh schon vom Teller ins Wasser gefallen (oder wie das Sprichwort geht) und die frohe Kunde der ursprünglichen Publikation war in der Welt. Bäume pflanzen ist das beste Mittel gegen den Klimawandel! Das ist die Crux mit Wissenschaftskommunikation, die vor allem gute Neuigkeiten mitteilen will, und mit der Lesart der Medien und der Öffentlichkeit. Wieder zeigt sich: Bäume zu pflanzen ist sinnvoll, aber eben kein Allheilmittel.


Halten wir also fest: Bäume so zu pflanzen, dass sie wirklich Gutes tun, ist möglich, aber nicht einfach. Sie müssen den Voraussetzungen der jeweiligen Ökosysteme entsprechen, sollten nicht in Monokultur gepflanzt werden und sich nicht gegenseitig und anderen Pflanzen die Ressourcen wegnehmen. Es stellt für das Mikroklima oder das jeweilige Ökosystem eines Gebietes immer eine Veränderung dar, wenn Bäume eingesetzt werden, und das muss mit Bedacht geschehen. Neue Wälder sollten keine Konkurrenz für die lokalen Landwirte darstellen, sondern im besten Fall auch ihnen Vorteile schaffen. Millionen oder Milliarden Bäume gegen den Klimawandel zu pflanzen, ist im Übrigen auch organisatorisch keine Kleinigkeit. Und einmal gepflanzte Bäume müssen gegen Wettereinflüsse geschützt und langfristig gepflegt werden, um ihr Kohlenstoffspeicher-Versprechen überhaupt einlösen zu können: dafür muss sie erst einmal einige Jahre oder Jahrzehnte wachsen, und das ist mindestens teuer zu gewährleisten, oder schlicht auch nicht immer machbar. Dabei bräuchten wir die Bäume besser früher als später, denn die Klimakrise wartet nicht.

Deshalb sollten wir auch nicht nur darüber sprechen, Bäume zu pflanzen, sondern an dieser Stelle kurz auch darüber, wieso für unseren Konsum – oder sogar direkt hier bei uns – Wälder gerodet werden, die es nicht müssten. Beispiele hierfür waren im letzten Jahr medial schließlich sehr präsent: ob die Abholzung in Brasilien, die unter Anderem für unseren Fleischkonsum stattfindet; der Dannenröder Forst, der letztlich für eine Autobahn und damit für eine Verkehrspolitik sterben musste, die so kaum Zukunft hat; oder der Hambacher Forst, über dessen Rolle in der Energiepolitik man dasselbe sagen könnte, auch wenn der letzte Rest davon jetzt wohl bestehen bleibt. Dann wiederum haben wir das Beispiel der Tesla-Fabrik in Grünheide, bei der gegen die Abholzung eines Kiefernforsts demonstriert und geklagt wurde. Das sind alles Zielkonflikte: wollen wir den Wald, oder etwas Anderes, und was von beidem ist besser fürs Klima, aber auch andere Interessen? Da kommt viel zusammen, und wir müssen darüber sprechen, welche Prioritäten wir setzen wollen, bevor wir zulassen, dass intakte Wälder abgeholzt werden, nur um dann woanders Mangroven zu setzen. Aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel.

Insgesamt findet viel Desinformation zur Rolle von Aufforstung und dessen Potential statt. Ob das nun mit der Absicht geschieht, sein Unternehmen oder seine Forschung zu pushen – oder wirklich eine gute Intention dahintersteckt, deren Umsetzung Schwierigkeiten aufwirft… das muss man wohl im Einzelfall betrachten, und wer hat dafür die Zeit und den Einblick in die Bepflanzung am anderen Ende der Welt?

envirocase geben pro verkaufter Handyhülle 1$ an One Tree Planted, die global pflanzen. Quelle: Instagram / envirocase.eu

Ich kann jedes Unternehmen verstehen, das Bäume pflanzen will. Man steckt in einem unauflösbaren Dilemma: Konsumgüter schaffen und damit Geld verdienen, aber gleichzeitig keine Ressourcen verschwenden zu wollen – oder das zumindest von sich sagen können zu wollen. Egal, wie sehr man seine Produktion optimiert, irgendwo bleibt immer ein Umwelteinfluss, den man nicht loswird. Da ist es naheliegend, zu kompensieren, und Bäume zu pflanzen ist so ein schön greifbarer, werbetauglicher Ansatz der Kompensation.

Wer mag schließlich keine Bäume? Und Kompensation ist grundsätzlich durchaus besser als keine Kompensation. Ich persönlich kompensiere auch CO2, spende monatlich an atmosfair, und muss darauf vertrauen, dass ihre Zertifizierung, ihre Nachhaltigkeitsberichte, und ihre versprochene Wirkung aufs Klima stimmen. atmosfair investiert mit den Spenden in Energie- und Bildungsprojekte, um CO2-Emissionen zu verhindern. Sie investieren aber bewusst nicht in Waldprojekte, da sie diese aus den oben genannten Gründen nicht für geeignet halten. Darauf zu achten, ob die eigene Kompensation wirklich etwas bringt, ist eine Pflicht, die mit diesem Ansatz einhergeht. Eine andere ist allerdings auch, Kompensation wirklich als das letzte mögliche Mittel zu betrachten, und dennoch überall sonst auf sparsamen Ressourcenverbrauch zu achten. Und viele Unternehmen, die Bäume pflanzen – oder generell Kompensation anbieten – achten durchaus auch auf andere Aspekte: auf Recycling- oder Bio-Materialien, klimaneutralen Versand, lokale Herstellung und faire Arbeitsbedingungen. Der Baum ist dann ein Bonus in ihrem Nachhaltigkeits-Portfolio, und ich würde so ein Produkt tendenziell immer noch lieber kaufen als eines, das sonst wie hergestellt wurde. Aber das tun eben nicht alle Unternehmen, weil Kompensation im Zweifelsfall – kurzfristig – günstiger ist. In jedem Fall müssen wir aufpassen, dass wir Unternehmen immer noch als das wahrnehmen, was sie sind: Wirtschaftsakteure, die Produkte verkaufen und Geld verdienen wollen. Das ist (mit wenigen Ausnahmen) kein Charity, auch wenn die Formulierung „Unsere Mission“ auf den Websites das suggeriert. Es ist, böse formuliert, Ablass. Unser Produkt kann man guten Gewissens kaufen, weil man ja was zurückgibt.

Kushel machen Handtücher, deren CO2-Emissionen und Wasserverbrauch sie kompensieren. Außerdem pflanzen sie je zwei Bäume mithilfe von Plant for the Planet, Trees for the Future und Klimapaten Pflanzaktion – bisher 200,000. Kushel scheinen ihre Verantwortung ernst zu nehmen, aber am Ende verkaufen sie auch nur Handtücher und heilen nicht Krebs. Quelle: Instagram / kushel.de

Besonders absurd wird es letztlich, wenn CO2-Kompensation nicht als ein weiterer Baustein eines nachhaltigen Produktes stattfindet, sondern der einzige Weg ist, dem Produkt irgendetwas entgegenzusetzen. Beispiel: Shell. Bei Shell kann man jetzt die CO2-Emissionen seines Autos kompensieren lassen. Ich verstehe schon, dass das ein Baustein für Shell ist, von ihrer schlechten CO2-Bilanz – und ihrem schlechten Image – wegzukommen, aber in meiner Wahrnehmung suggeriert das dem Verbraucher: Benziner passt schon, Hauptsache, wir setzen einen Baum.


Ich hege keinen innigen Hass gegen Bäume, und ich möchte auch nicht die hier aufgeführten Unternehmen – oder generell Unternehmen, die Bäume pflanzen – pauschal bezichtigen, Greenwashing zu betreiben. Wie die einzelnen Beispiele zeigen, ist das Baumpflanzphänomen nicht so einfach aufzulösen: wo die Bäume gepflanzt werden, welche Art von Bäumen, in welchem Alter und mit welcher Pflege, all das beeinflusst, ob und wie sehr man als Konsument wirklich „etwas zurückgeben kann“. Ein Baum ist tendenziell – wenn auch nicht immer – besser als kein Baum, und Kompensation ist grundsätzlich ein Mittel, unvermeidbare Emissionen auszugleichen. Aufforstung und die Instandhaltung bestehender Bäume stellen wichtige Bausteine im Kampf gegen den Klimawandel dar; und wenn wir darüber sprechen, welchen Umwelteinfluss unser Konsum hat, ist auch eine Menge gewonnen.

Aber wir dürfen uns keine Illusionen darüber machen, dass mit einer 5 cm großen Mangrove unser Beitrag zum Klimaschutz getan ist, oder dass wir nur billig Bäume pflanzen müssen und den Klimawandel damit schon in den Griff bekommen. Und wir sollten verhindern, dass es sich Unternehmen damit einfach machen, für ein paar Cent irgendwo ein Pflänzchen setzen zu lassen, anstatt die Herstellungsbedingungen und manchmal auch die grundsätzliche Sinnhaftigkeit ihrer Produkte zu durchleuchten (looking at you, Shell). Wenn wir unseren Konsum „grüner“ machen wollen, gehört dazu mehr, als 10 Cent abzudrücken. Damit wir nicht irgendwann den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.

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Ein Kommentar zu „Ich glaub‘, ich steh im Wald

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