Für viele Entscheidungen, die wir im Leben treffen, führen wir eine gedankliche Pro- und Kontra-Liste. Oft sind wir uns dessen gar nicht bewusst, manchmal schon, und manche Leute schreiben diese Liste sogar auf. Links Pro, rechts Kontra, und am Ende zählen wir zusammen, und treffen eine Entscheidung. Ich gebe euch mal ein Beispiel. Nehmen wir Pommes.

ProKontra
günstigungesund
überall verfügbar
vegan und glutenfrei
lecker
Ich hab die Tabelle extra in Pommes-Farbe gemacht.

Auf der Pro-Seite für Pommes haben wir einen günstigen Preis und eine hohe Verfügbarkeit. Das sind eher praktische Argumente, denen die Meisten zustimmen würden. Pommes sind vegan und glutenfrei – das ist für einige Menschen praktisch, für andere nicht so wichtig. Und Pommes sind lecker. Das behaupte ich jetzt einfach mal so, aber das ist natürlich Geschmackssache. Diese subjektive Haltung ist am diskutabelsten, sie hängt von den eigenen Vorstellungen ab und variiert zwischen verschiedenen Menschen. Aber sind wir mal ehrlich: Pommes sind lecker.

Auf der Kontra-Seite steht jetzt hier: ungesund. Pommes sind nicht sonderlich gesund, das ist klar. In einem ausgewogenen Maß kann man mal Pommes essen, aber als Dauerlösung sind sie eher nicht zu empfehlen.

Jetzt kann man das alles zusammenrechnen. Manche Argumente wiegen unterschiedlich viel, die kann man in der Tabelle dann fett markieren. Für mich ist zum Beispiel der gute Geschmack von Pommes am wichtigsten. Summa summarum: die Pro-Seite hat mehr zu bieten. Ich komme also zu dem Fazit: Pommes sind eine gute Entscheidung. Pommes gewinnen!

Konfetti, Posaunen und Mayonnaise.

Hmmmmm.
Quelle: Pixabay

Ich glaube, eine solche Liste haben wir als gesamte Gesellschaft auch zum Thema Erneuerbare Energien. Eine Menge spricht für erneuerbare Energien, und ein paar Dinge auch dagegen. Bisher sah die Liste hier eher so aus:

ProKontra
unendlich verfügbarteuer
sauberhässlich
schaffen Unabhängigkeitunzuverlässig
schreddern Vögel
Für erneuerbare Energien nehmen wir ein helles Blau.

Auf der Pro-Seite stand in der öffentlichen Wahrnehmung schon lange, dass erneuerbare Energien unendlich verfügbar sind – erneuerbar eben. Das kann niemand bestreiten, aber lange Zeit schienen Öl, Kohle und Gas ja auch irgendwie immer da zu sein. Erneuerbare Energien sind sauber, aber dass der Klimawandel ein echtes Problem darstellt, ist auch erst seit 5 Jahren für alle präsent. Zuletzt stand da, dass uns erneuerbare Energien unabhängig machen. Unabhängig von den großen Stromversorgern, da die eigene Photovoltaik-Anlage unser Haus autark versorgt, und der Bürgerwindpark den Strom in die eigene Kommune liefert. Aber auch unabhängig – oder unabhängigER – vom Ausland, von den arabischen Emiraten, von Norwegen, von Russland. Dieses Pro-Argument ist aber nicht fett gedruckt gewesen. Das waren schließlich alles verlässliche Partner, das Öl und das Gas flossen, hoch die Glühbirnen!

Dann ist da die Kontra-Seite. Fettgedruckt standen hier lange auf jeden Fall die hohen Kosten der Erneuerbaren. Die waren so teuer im Vergleich zu den billigen fossilen Energien, dass sie diese sogar über die lästige EEG-Umlage noch verteuert haben! Erneuerbare Energien sind hässlich – über die Ästhetik von Photovoltaikanlagen kann man sicher streiten, aber dass Windparks die Umwelt verschandeln, scheinen bis heute nicht nur Bürgerverbände in Bayern zu denken. (Ich mag Windparks übrigens.) Dann sind erneuerbare Energien so unzuverlässig! Nacht scheint keine Sonne, im Süden weht kein Wind und den Strom durchs Land zu karren ist auch ineffizient. Kohle hingegen brennt auch nachts ganz gut. Und zuletzt immer wieder das Argument, dass Windkraftanlagen so viele Vögel schreddern. Es wird davon ausgegangen, dass jährlich ca. 100,000 Vögel durch Windkraftanlagen sterben. Das sind 100,000 Vögel zu viel. Gleichzeitig sterben Vögel im zweistelligen Millionenbereich, weil sie gegen Glasscheiben dotzen oder von Katzen gefangen werden. Doppelmoral, aber gut, lassen wir das Argument mal stehen.

In der Summe standen erneuerbare Energiequellen, allen voran Wind und Sonne, also nicht so gut dar, und wir haben uns deshalb bisher eher zögerlich mit ihnen beschäftigt.


Nun ist April 2022. Robert Habeck, Wirtschafts- und Klimaminister, stellt am 06.04.22 das „Osterpaket“ vor, ein Bündel von Gesetzesentwürfen zur Förderung der Erneuerbaren. 100% des deutschen Stromverbrauchs sollen bis 2035 erneuerbar sein. Dafür hat dieses Osterpaket viele Maßnahmen im Gepäck, und die rütteln gemeinsam mit anderen Entwicklungen der letzten Jahre an der Pro-Kontra-Liste. Aktualisieren wir sie also.

ProKontra
unendlich verfügbarteuer
sauber(hässlich)
schaffen Unabhängigkeit(unzuverlässig)
schreddern Vögel

Beginnen wir auf der Kontra-Seite: Wind- und Solarenergie sind heute günstiger in der Herstellung als Strom aus Kohle, Gas, Öl und Atomenergie. Agora Energiewende kam schon 2017 zu folgendem Fazit:

(…) [I]n den wahrscheinlichsten Zukunftsszenarien ist eine Versorgung auf Basis von Erneuerbaren Energien entweder etwa gleich teuer oder sogar günstiger als ein Stromsystem auf Basis fossiler Energieträger. Gerade angesichts der Unsicherheiten bei den Entwicklungen auf den globalen Brennstoffmärkten liefert ein Stromsystem auf Basis Erneuerbarer Energien darüber hinaus noch den Mehrwert, die Volkswirtschaft insgesamt gegen zunehmend volatile Preisentwicklungen für fossile Energien abzuschirmen und so auch die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu stärken.

Agora Energiewende, Stromwelten 2050, Seite 6
Quelle: Agora Energiewende

Die EEG-Umlage fällt zudem ab dem 01.07.22 weg, sodass der Strompreis auch erst einmal sinken kann. Das Argument können wir durchstreichen.

Man mag Windkraftanlagen immer noch hässlich finden. Das Osterpaket beabsichtigt jedoch, Wind- und Solarprojekte von Bürgerenergiegesellschaften unbürokratischer und damit einfacher umsetzbar zu machen. Wenn die Bürger*innen einer Kommune selbst finanziell vom Windpark profitieren, finden sie ihn vielleicht nicht mehr so hässlich. Ich klammere das Argument mal ein.

Wind und Sonne sind immer noch nicht rund um die Uhr verfügbar. Allerdings erleben wir, nicht zuletzt durch technische Fortschritte in der E-Mobilität, enorme Sprünge in der Speichertechnologie. Von 2010 bis 2020 ist der Preis für Lithium-Ionen-Batterien um 90% gesunken, und mit einem Entschluss aus dem Jahr 2020 hat sich die Europäische Kommission fest dem Ziel verschrieben, die Produktion von Batterien in Europa zu fördern. Die Speicherung von Energie in Form grünem Wasserstoffs kommt in Fahrt, Stromnetze werden ausgebaut, und so technologiekritisch man sein darf: erneuerbaren Strom zu speichern und gezielt zu verteilen sicher wird keine leichte Aufgabe, aber es wird daran gearbeitet. Auch hier kommt eine Klammer drum.

Dann sind da die Vögel. Wie schon erwähnt ist das Argument immer schon aufgeblasen gewesen, aber es besteht durchaus ein Konflikt zwischen dem Ausbau der Erneuerbaren und dem Erhalt von Ökosystemen. Ein schnellerer und unbürokratischerer Ausbau von Windparks, den das Osterpaket ermöglicht, bedeutet auch, dass weniger Zeit für Bürgerbeteiligungen und Naturschutzeinwände bleibt. Das Argument würde ich jetzt also fett drucken.

Robert Habeck bei der Vorstellung des Osterpakets.
Quelle: RND

Schauen wir nun auf die Pro-Seite, ändert sich nicht so viel. Das Argument der unendlichen Verfügbarkeit erneuerbarer Energien ist nicht so richtig in der öffentlichen Gunst gestiegen, Öl und Gas gibt es ja grundsätzlich schon noch, und man könnte auch die Kohle- und Atomenergie länger weiterführen als derzeit geplant.

Erneuerbare sind weiterhin sauber – das ist uns mittlerweile wiederum wichtig, die Klimakrise ist spürbar geworden: fettgedrucktes Argument.

Der Ukraine-Krieg hat uns nun, so dramatisch er ist, eine einzige gute Sache gebracht: wir sehen endlich, welche Folgen die fossile Abhängigkeit mit sich bringen kann. Es hat erst diese Entwicklung gebraucht, aber nun sind sich alle einig, dass die Autarkie durch Wind und Sonne ein fettgedrucktes Argument ist.

Und schon sieht das Fazit unserer Pro- und Kontra-Liste anders aus. Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird immer noch schwierig, aber wir können uns nicht mehr vormachen, es gäbe vertretbare Alternativen. Die Energiewende ist zentral für unser Land, für die Bezahlbarkeit von Strom und Wärme, für den Erhalt der Industrie, und für unsere geopolitische Haltung. Im juristischen Sprech nennt sich das im Osterpaket, die Erneuerbaren seien nun „im überragenden öffentlichen Interesse“. Der Ausbau der Erneuerbaren wird zum Dienst an der öffentlichen Sicherheit deklariert, und Einwände sind weniger wirksam. Das ist gewieft, und auch nur unter den aktuellen Umständen umsetzbar.


Gleichzeitig muss so ein Taschenspielertrick vielleicht auch mal sein. Am 04.04.22 veröffentlichte der IPCC, der Weltklimarat, den neuesten Sachstandsbericht der Arbeitsgruppe III. Arbeitsgruppe III beschäftigt sich mit den technischen und politischen Maßnahmen gegen den Klimawandel und ist heute vielleicht die wichtigste Arbeitsgruppe. Schließlich wissen wir mittlerweile, dass die Situation ernst ist, und es geht vor allem um die konkreten Lösungen. Der Bericht legt der Weltgemeinschaft nochmal dringlichst höhere Ambitionen beim Ausbau der Erneuerbaren und der Reduktion von Treibhausgasen ans Herz. Die Zeit bis 2030 sei essentiell. Gleichzeitig werde es nicht reichen, weniger Emissionen zu erzeugen – wir müssten auch 5-16 Gigatonnen CO2 jährlich aus der Atmosphäre holen, was bei 40Gt jährlicher Emissionen schon ein ordentlicher Batzen ist, und nur durchs Bäumepflanzen nicht getan sein wird. Aber das ist ein anderes Thema. Zuletzt hebt der Bericht erstmalig hervor, dass erneuerbare Energien keine Belastung, sondern eine Chance für unsere Wirtschaftssysteme darstellen. Die aktuellen Energiepreise sind dafür ja schon ein gutes Beispiel.

Der 6. IPCC Bericht, Arbeitsgruppe III.
Quelle: IPCC

Das „Osterpaket“ von Robert Habeck ist noch nicht allumfassend und löst manche Dinge noch nicht abschließend. Dass 2% der Landesfläche für Windkraft genutzt werden sollen, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, ist noch nicht von allen Bundesländern akzeptiert; Genehmigungsverfahren dauern immer noch lange; und der Konflikt mit dem Naturschutz wird wohl immer einer bleiben. Und wir sollten uns immer vor Augen halten: unser Stromverbrauch wächst mit jeder installierten Wärmepumpe und jedem Elektroauto. Den gesamtdeutschen Energiebedarf, inklusive Wärme und Mobilität, nachhaltig zu decken, ist zwar in Deutschland technisch möglich, aber steht vor vielen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen. (Mehr dazu findet ihr in diesem guten Video von Breaking Lab). Das Osterpaket ist ein Ansatz, diese Herausforderungen zu lösen. Es wird weitere Ansätze brauchen, wir müssen energieeffizienter und genügsamer werden, besser dämmen, weniger Auto fahren, all das. Vielleicht werden wir immer Energie importieren müssen. Aber es ist irgendwie schön zu sehen, dass die Kritik am Osterpaket vor allem darauf abzielt, dass es noch solche Fragen offen lässt, und nicht, dass es grundsätzlich in die falsche Richtung ginge. Im Sommer kommt das „Sommerpaket“, das wieder manche offenen Fragen beantworten könnte. Bis dahin nehmen wir, was wir kriegen können. Habeck selbst nennt das Osterpaket übrigens „das höchste an Ambition, was ein Land in acht Jahren vollbringen kann“.

Das Ziel der Energiewende ist eine Zukunft mit sauberer, verfügbarer und dezentralisierter Energie, die keine Kriege finanziert. Das wird nicht einfach, aber ich denke, egal was für eine Pro- und Kontra-Liste Jede und Jeder von uns hat: darauf können wir uns doch alle einigen.

Werbung

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s